19. August 2021
Das „Fenster in die römische Vergangenheit“ in Erlstätt ist in einer Feierstunde eingeweiht worden
Nicht nur Petrus, sondern auch die römische Chiemsee-Gottheit Bedaius war der Gemeinde Grabenstätt wohlgesonnen und schickte pünktlich zur Einweihung der Römerstation „Fenster in die Vergangenheit“ Sonne und blauen Himmel. Zahlreiche Ehrengäste, Projektbeteiligte und Unterstützer hatten sich in Erlstätt am „Fenster in die Vergangenheit“ unweit der Turnhalle eingefunden, um in einer kleinen Feierstunde der Gemeinde zur Fertigstellung der drei im Gemeindebereich befindlichen Römerstationen zu gratulieren. Bürgermeister Gerhard Wirnshofer ließ eingangs die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Projektes Revue passieren und verwies auf die beiden anderen Stationen an der Johanneskirche in Grabenstätt und im gemeindlichen Römermuseum in der Schlossökonomie. Über dem Portal der um 1400 errichteten Johanneskirche ist ein gut sichtbarer römischer Grabstein eingemauert und im Museum, in dem sich auch rekonstruierte und begehbare Mosaike der römischen villa rustica (Landhaus/Landgut) von Erlstätt befinden, gibt es ein Mosaikpuzzle für Kinder.

Der Vorsitzende der LEADER-Aktionsgruppe Chiemgauer Seenplatte und Pittenharter Bürgermeister Josef Reithmeier freute sich, dass man mit Hilfe der LEADER-Förderung Projekte umsetzen könne, die die Gemeinschaft der Orte rund um den Chiemsee stärke und die gemeinsame römische Vergangenheit stärker in die öffentliche Wahrnehmung bringe. Einige anfänglich skeptische Kommunen würden es längst bedauern, sich nicht beim Projekt „Römerregion Chiemsee“ beteiligt zu haben, so Reithmeier.
„LEADER schafft Wertschätzung und Wertschöpfung“, betonte Johann Kölbl, LEADER-Koordinator des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) in Rosenheim, und verwies auf die beachtlichen Fördersummen in sechsstelliger Höhe, die bisher in alle Projekte der „Römerregion Chiemsee“ geflossen seien (die Fördersumme in Grabenstätt liegt etwas über 5.000 Euro). Die unterschiedliche Gestaltung der Römerstationen ermögliche im Wortsinn, die Geschichte zu „begreifen“, so Kölbl.
Ganz besonders bedankte sich Bürgermeister Wirnshofer bei der provinzialrömischen Archäologin und gemeindlichen Projektbeauftragten Andrea Krammer. „Es ist ein Glücksfall, ja ein Meilenstein für die Gemeinde“, dass Krammer mit ihrer Familie in der Gemeinde lebe und das Projekt von Anfang an mit viel Engagement fachlich unterstützt habe.

Krammer erinnerte an jene geschichtsinteressierten Menschen, die schon seit dem 19. Jahrhundert in der römischen Vergangenheit Erlstätts geforscht und vieles ergraben, gesichert und dokumentiert hatten – angefangen vom Pfarrkooperator Antiochus Fletz über August Gebhard und Karl Schefczik aus Erlstätt bis hin zu Albert Multerer, der einen Teil seiner privaten Sammlung dem Römermuseum der Gemeinde zur Verfügung gestellt hat. „Sie alle haben den Weg für die heutige Forschung bereitet“, lobte Krammer, deren Wohnhaus in Kraimoos auf der einstigen Römerstraße steht, die von Salzburg nach Augsburg führte. Da Grabenstätt bislang der einzige Ort in der „Römerregion Chiemsee“ sei, an dem man zusammenhängende Mosaikbilder nachweisen habe können, sei klar gewesen, dass das Thema „Römische Mosaike“ das Alleinstellungsmerkmal Grabenstätts im Projekt werden müsse, so Krammer. Man habe es im Rahmen der museumspädagogischen Mitmach-Station (Mosaikpuzzle) für Kinder umgesetzt.
Bei einem ersten Ideenaustausch waren sich Krammer und Historikerin Annette Marquardt-Mois aus Bernau vor vier Jahren schnell einig gewesen, dass das Projekt aufgrund der Dichte und Vielfalt der römischen Funde möglichst nicht nur einzelne Orte, sondern die ganze Chiemsee-Region umfassen und vereinen sollte. Es sei wunderbar, dass das Projekt von den beteiligten Gemeinden dann so hervorragend weitergeführt und mit Leben erfüllt worden sei, so Krammer.

Der Schirmherr der „Römerregion Chiemsee“, Prof. Dr. Siegmar von Schnurbein, betonte, dass der römische Gutshof in Erlstätt mit mehreren Gebäuden und einer Ausdehnung von rund 400 Metern ein außergewöhnlich großes Besitztum mit viel Personal gewesen sei. Nur hochrangige und wohlhabende Personen wie Ratsherren aus Salzburg oder der römischen Stadt Teúrnia (im heutigen Kärnten) seien in der Lage gewesen, ein solches schlossartiges Anwesen mit prächtigen Wandmalereien und Bodenmosaiken errichten zu lassen. Nach der Aufgabe der römischen Landsitze in der Region infolge der Krise des Römischen Reiches im Verlauf des 3. Jahrhunderts nach Christus seien die verlassenen und teilweise zerstörten antiken Bauwerke von den Bauern der Umgebung als „Steinbruch“ und Quelle für Baumaterial genutzt worden, so Schnurbein. Auch deswegen sei das heutige Erlstätt in unmittelbarer Nachbarschaft entstanden. Noch im 19. Jahrhundert habe man Ziegel von den „Maueräckern“ in Erlstätter Bauernhäusern verbaut. Schnurbein rief dazu auf, weiterhin „die Augen für römische Relikte“ offen zu halten und diese wichtigen Zeugen der Vergangenheit zu sichern und bewahren.
Text: Markus Müller